Duale Lethargie
Die Situation grenzt fast schon an Nötigung. Ich war auf dem luxemburgischen Nationalfeierabend. Das Feuerwerk war gut, die Musik war besser und gerade war alles vorbei und allgemeiner Aufbruch. Nun bin ich auf dem Weg nach Hause. Ich sitze um 2 Uhr Morgens zusammengepfercht mit Satres Hölle in einem Bus und der Bus irgendwo in der Stadt im Stau.
Vor mir ereignet sich ein Drama. Zwei Zwillingspärchen im Partnertausch, die ausschauen, wie aus einem Klonlabor der tiefsten 90er Jahre und frisch von der misslungenen Selbstopferung ihres Sektenkultes wieder zurück auf dem Weg nach Hause in ihre Blümchenbemalte Kiste. Zwei identisch aussehende Mädchensimulationen mit Zeltplanen und labilen Persönlichkeit und zwei identisch aussehende und identisch weichgespülte Jünglinge mit kariertem Pullover und ohne Persönlichkeit. Die Eine möchte so gerne Weinen nur funktioniert das Trösten an der Brust des Klons mit gefärbten Haaren zu gut. Ihre Zwillingeschwester sitzt geistig abwesend am Boden und starrt in die Ferne des Buseingangs. Beide haben ihr Bewusstsein bereits gegen ein Kleineleutedilirium ausgetauscht und tragen im Partnerlook ein übergroßes lachsfarbenes Poncho-T-Shirt-Kleid-Etwas-Zelt, was einerseits großräumig abdeckt, andererseits zu rätseln lässt was da noch drunter sein sollte oder überhaupt könnte. Lethargisch starrt sie in die nichtvorhandene Ferne.
Noch mit dabei ist eine Freundin. Sie ist weder blond, noch armseelig bekleidet und hebt sich damit stark von den beiden Anderen ab. Einzig der schwarze Rock über dem Top getragen könnte Geschmackspuristen Tränen in die Augen treiben. Sie hängt an einer Stange und versucht möglichst wenig von sich selbst schleppen zu müssen. Die Schwerkraft zerrt so hart des Nachts. In einem kurzen Moment stellt sie sich gerade und entdeckt ihr Spiegelbild in der Scheibe des innenbeleuchteten Bus. Sie rückt und zupft sich kurz zurecht, dreht sich zur lethargischen Sektenschwester und meint nur “Ich bin nicht sexy genug!” Ja, ganz offensichtlich … Sechtzehn zu sein muss hart sein.